Die Amtszeit des Bürgermeisters Johannes Stingel

Sept. 1855-1883

 

Seine Zeitgenossen waren:

Schullehrer Dörr bis 1858

Schullehrer Bolbach März 1858-1864

Schullehrer Hamel 1864 - auch noch am 7. September 1894

Schulinspektoren: Metropolitan Klingelhöfer, Treis an der Lumda

Pfarrer Franz, Treis an der Lumda

Ober-Schulinspektor: Metropolitan Sippel, Oberweimar

Landräte: Rohde und Keller Landbaumeister Regenbogen

 

Stingel bezog als Bürgermeister ein Jahresgehalt von 32 Taler und wurde auf Lebenszeit gewählt.  Das bedeutete aber nicht, daß man ihn nicht hätte abwählen können.  Nur den Bürgermeistersold auf Lebenszeit aus der Gemeindekasse konnte man ihm nicht nehmen.  Mit diesem Sold waren alle einfachen Wege abgegolten, nur für Wege über drei Stunden Entfernung vom Wohnort erhielt er eine Extravergütung.  Stingel legte sein Amt nach 28jähriger Dienstzeit im Alter von 74 Jahren wegen Altersschwäche und ständigem Kränkeln am 18.  April 1883 nieder.

 

Die Friedhofsmauer

Stingel mußte da anfangen, wo Schneider aufgehört hatte, nämlich bei der Umfriedung des Totenhofes.

 

Sie war im Juni 1855 immer noch nicht vorgenommen, denn Sichertshausen selbst hatte keine Steine und konnte sie nicht kaufen, weil in diesem Jahr die Steine in den benachbarten Brüchen wegen der vielen Bauvorhaben in Fronhausen und Gießen viel zu teuer waren.  Außerdem hatten die Leute wegen der verspäteten Frühjahrsbestellung keine Fuhren übernehmen können.

 

Im Juli 1855 schritt Stingel dann zur Tat.  Er verakkordierte die Maurerarbeit an den Maurermeister Johannes Kaletsch aus Roth.  Kaletsch wollte die Steine im Bruch bearbeiten, so daß die Mauer nachher in kurzer Zeit errichtet werden konnte.  Scheinbar liegt der Hang zum Pfusch zu allen Zeiten vor.  Im September war dem Landbaumeister zu Ohren gekommen, daß die Grundmauer nicht nach Vorschrift gemauert worden war. Er zog Kaletsch zur Rechenschaft.  Kaletsch hielt darauf seine drei Gesellen an, das fehlerhafte Fundament wieder zu beseitigen.  Die auf diese Weise zusätzlich entstandenen Kosten trug Kaletsch.  Er sagte zu, jetzt seine drei Gesellen gemäß des Akkords arbeiten zu lassen, insbesondere auch die Mauer über der Erde mit durchgehenden 11/2 Fuß breiten Steinen auszuführen.

 

Die Schule

Bisher war die Schulstube im oberen Stock des Schulhauses untergebracht.  Da das Treppensteigen Unfallgefahr bedeutete und vor allem die kleinen Kinder Schwierigkeiten beim Heruntergehen hatten, beantragte der Schullehrer Bolbach im Sommer 1859, den Schulsaal in den unteren Stock zu verlegen.  Das Zimmer unten hatte ein Fenster mehr, und das bedeutete Helligkeit für die Schüler.  Schließlich würde man durch diese Verlegung auch noch erreichen, daß nicht mehr so viel Schmutz durch die 50 bis 60 Schüler in den Gang, auf die Treppe und in den Hausflur geschleppt wird.  Der kurfürstliche Schulvorstand entsprach diesem Antrag.

Nach Jahren der Ruhe hören wir im Sommer 1864 wieder Klagen des Schullehrers.  Die letzte Weißbinderarbeit am Schulhause sei 1856 ausgeführt, und 1858 nur die Wohnstube geweißt worden. 1863 sollte das ganze Schulhaus außen verputzt werden, und zu dem Zwecke seien auch schon 13 Maß Kalk gelöscht worden.  Dieser Kalk liege heute noch auf dem Hof, es werden keine Anstalten getroffen, das Schulhaus in einen ordentlichen Zustand zu versetzen, er schäme sich, wenn Fremde kommen.  Er habe den Eindruck, daß der Bürgermeister alle Reparaturen absichtlich verhindere.

 

Der Krieg 1866

Preußen war der stärkste Staat unter den deutschen Bundesländern und kämpfte in diesem Kriege gegen Österreich um die Vorherrschaft im Deutschen Bund. Alle drei in unserem Raum zusammentreffenden selbständigen Mittelstaaten, nämlich das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, das Kurfürstentum Hessen-Kassel und das Herzogtum Nassau standen dabei auf der Seite der Gegner Preußens.  Durch den schnellen Sieg Preußens bei Königgrätz blieben unserer Heimat schlimme und lange Kriegsleiden erspart.  Im Ergebnis wurden in unserer Gegend Kurhessen und Nassau von Preußen annektiert; Hessen-Darmstadt aber blieb aus politischer Rücksichtnahme verschont, denn die großherzogliche Familie war mit den Herrschern von Rußland und England eng verwandt.

Und so lief das Kriegsgeschehen bei uns ab:

Im Kreise Wetzlar sammelte sich wochenlang ein preußisches Armeekorps, die Grenzorte waren mit Truppen überbelegt.  Die Zivilbevölkerung fürchtete sich vor einem kommenden Kriege und versteckte Nahrungsmittel, Wertgegenstände und Geld.

 

Am 16.  Juni 1866 setzten sich die preußischen Truppen nach Kurhessen in Marsch, der Raum Marburg war ihr Ziel.  In die kurhessischen Dörfer kam Unruhe, alle wehrfähigen Männer flüchteten vor den anrückenden Preußen.  Sie nächtigten in Ställen und Scheunen.  Die Angst war aber unbegründet, am nächsten Tage konnten die Flüchtlinge wieder nach Hause, die Preußen hatten ihr Ziel ohne Blutvergießen erreicht.

 

Im Friedensvertrag vom 3. September 1866 zwischen Preußen und dem Herzogtum Hessen-Darmstadt wurde bestimmt, daß alle rechts der Lahn liegenden Dörfer, die bisher zu Hessen-Darmstadt gehört hatten, jetzt an Preußen fielen, nur Ruttershausen und Heuchelheim wurden nicht preußisch.  Die Gemeinde Treis hatte seit Jahrhunderten zu Kurhessen gehört, jetzt wurde Treis dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt zugesprochen. (27-30)

 

Anbau eines neuen Schulsaales

Der Krieg von 1866 war vorbei, da brachte der Bericht des Schulinspektors über den Gesundheitszustand in der Schule den Stein wieder ins Rollen, d. h. die Frage nach einem Schulneubau wurde wieder aufgeworfen.  Dem Bericht entnehmen wir, daß Abtritte für Schüler fehlten und der für den Lehrer in schlechtestem Zustand war. 61 Schüler - 29 Knaben und 32 Mädchen - wurden gleichzeitig in einem Schulsaal, der zu klein war, unterrichtet . Es gab keine Ventilation, vier Fenster reichten allerdings für die Helligkeit aus, aber die Schulmöbel waren zu niedrig und zu eng, das Trinkwasser jedoch war gut.  Im Dorf gab es drei Brunnen: den Brunnen bei der Schule, der 1971 beim Abriß der Schule und beim Neubau des Dorfgemeinschaftshauses zugeschüttet wurde, den Brunnen bei Bingel in der Straßenkurve, den Brunnen im Oberdorf. Die Regierung in Kassel reagierte prompt und gab an den Schulvorstand in Sichertshausen den Auftrag, angemessene Räumlichkeiten herzustellen, denn 315 Quadratfuß seien für 64 Kinder zu wenig.  Auch mußte der miserable Zustand der Lehrerwohnung verändert werden.  Bei einem Umbau war unbedingt darauf zu achten, daß der Abtritt für den Lehrer direkt vom Hause zugängig war.  Die Regierung ordnete außerdem an, eine Wandkarte von Palästina anzuschaffen.  Stingels Antwort vom 8. August 1870 lautete: Abtritte werden gebaut, sobald Holz vorhanden sein wird.  Dann erteilte der Landrat Keller dem Landbaumeister Regenbogen den Auftrag, die Erweiterung des Schulhauses zu planen.

 

Der Deutsch-Französische Krieg 1870- 1871

Unterdessen war der Deutsch-Französische Krieg ausgebrochen.  Auf die »Emser Depesche« vom 13. Juli 1870 antwortete die französische Regierunq mit der Kriegserklärung.  In ganz Deutschland brandete begeisterte Einmütigkeit und Opferbereitschaft auf. Die Ortseinwohner von Sichertshausen konnten beobachten, wie Truppentransporte ununterbrochen auf der Eisenbahn rollten.  Am 18.  Januar 1871 wurde König Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen.  Am 26.  Februar 1871 kam es zum Vorfrieden von Versailles, der am 10.  Mai 1871 im Frieden von Frankfurt a. M. bestätigt wurde.

 

Bereits im Dezember 1870 hatte Regenbogen den Platz für die Abtritte bestimmt und Zeichnungen vorgelegt.  Viele Meinungen wurden jetzt eingeholt, besprochen und geändert.  Man war sich einig, daß die gegenwärtige Schulstube mit 8' 3" (8 Fuß 3 Zoll) zu niedrig war.  Deshalb wollte man keine Erweiterung, sondern ein neuer Schulsaal mit angemessener Höhe sollte am westlichen Giebel, und zwar in den Garten des Lehrers hinein, gebaut werden.  Der Schulsaal hatte bisher an der Hauptstraße gelegen, so daß die Schüler häufig vom Unterrichtsgeschehen abgelenkt wurden.  Das würde zukünftig an der Gartenseite besser werden.

 

Im Mai 1871 äußerte der Ortsvorstand schwere Bedenken gegen einen Neubau und plädierte für lediglich eine Erweiterung des bisherigen Saales nach der Straßenseite hin.  Die Gewinnung eines größeren Raumes ersetze die gewünschte Höhe.  Der Ortsvorstand habe während eines ganzen Menschenalters niemals die Klage eines Lehrers wegen der mangelhaften Höhe des Schulsaales gehört.  Die Jugendzeit der jetzt Erwachsenen sei stets nur angenehm und gesund gewesen, wie der starke Körperbau fast aller Einwohner es beweise.

 

Und dann äußerte Stingel namens des Ortsvorstandes schwerwiegende Gedanken.  Alles sei zu kostspielig, und wenn schon der Anbau ausgeführt werden müsse, dann bitte nicht in diesem Jahr.  Der Ausfall der Ernte in 1870 und die Opferlasten des Kriegsjahres lasten schwer auf der Gemeinde und ihren Einwohnern.

 

Im Dezember 1871 meldete sich Stingel abermals zu Wort, die Gemeinde bitte, den Umbau um fünf bis sechs Jahre zu verschieben:

So, wie geplant, werde der Bau teuer und bleibe doch nur Flickwerk. Vielleicht werde schon in 15 oder 20 Jahren ein Neubau nötig. Jetzt sei das Schulhaus noch stabil und könne dem Zwecke entsprechend genutzt werden, wenn der Lehrer, wie dies an vielen Orten geschehe, die Schüler in zwei Abteilungen unterrichte. Drei Viertel der Ortsbewohner hätten enorme Kriegsopfer gebracht, sie brauchten noch mehrere Jahre, um sich davon zu erholen.

Vor 20 Jahren wurde die jetzige Schule eingetauscht.  Von den damals entstandenen Schulden seien noch 300 Taler übrig, die verzinst werden müßten.  Kürzlich wurde eine Scheune am Pfarrhof in Treis repariert, und Sichertshausen habe einen Beitrag von 300 Taler zu zahlen.  Da das dortige Pfarrhaus alt sei und alljährlich Kosten verursache, sei bereits die Rede von einem notwendigen Neubau.  Sichertshausen müsse daher in allernächster Zeit mit einem anteiligen Beitrag von 500 Taler rechnen.

 

Die Gründerjahre

In den »Gründerjahren« kam es nach dem Einströmen der Milliarden aus Frankreich nach dem Kriege 1870/71 zu einem Aufschwung der kapitalistischen Wirtschaft in Deutschland.  In dieser Zeit der stürmischen wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung suchte die Bürgerschaft der deutschen Städte mit Großbauten auch architektonisch ihren Reichtum und ihr Ansehen darzustellen.

 

Am 14.  Januar 1872 gab Landbaumeister Regenbogen seine Stellungnahme ab.  Er war dafür, daß lediglich ein neuer Schulsaal am Westgiebel in der Fluchtlinie des Schulhauses gebaut werde.  Dann könne das Schulhaus noch viele Jahre als Wohnung für den Lehrer beibehalten werden.  Der Neubau eines Schulhauses würde ca. 2500 Taler kosten.  Der Schullehrer sei einsichtig und bereit, einen Teil seines Gartens für den Anbau abzutreten.  Am Westgiebel hätte die Schulstube eine größere Entfernung von der Straße und allgemein eine freiere Lage.  Die Abtritte für den Lehrer und die Schüler könnten in Verbindung gebracht werden.  Der Anbau am Westgiebel würde ca. 600 Taler kosten.

Die vier zuständigen Stellen gaben ihre Einwilligung zum Bau, und so erfolgte am 15.  Juni 1872 die Anweisung des Landrats an die Gemeinde Sichertshausen, mit dem Bau zu beginnen.

 

Am 1. April 1873 meldete Stingel dem Landratsamt, wie die Bauarbeiten verakkordiert worden waren: Zimmerarbeit mit Ludwig Geißler aus Staufenberg Maurerarbeit mit Friedrich Happel aus Sichertshausen.  Er erhält 200 Taler, und die Gemeinde stellt die Materialien. Schreinerarbeit wird von Johann Heinrich Schneider aus Sichertshausen und Dachdeckerarbeit von Wilhelm Karle aus Gladenbach geleistet.

Sämtliche Akkorde lagen unter dem Voranschlag.  Die Schlosser- und Glaserarbeiten hatte der Schreiner übernommen, die Gemeinde stellte ihm aber Schlösser, Bande, Riegel und Glas.  Die abgeschlossenen Verträge besagten, daß die Maßnahmen bis zum 15. Juli fertig sein müssen.  Lediglich mit dem Weißbinder war man noch nicht ins Geschäft gekommen.  Die Arbeit selbst lief dann auf Beschluß des Gemeindeausschusses so ab, daß alle notwendigen Fuhren von den Einwohnern der Reihe nach getan wurden.  Als die Reihe wieder an den Bahnwärter Philipp Will II kam, einen Wagen voll Steine zu holen, erklärte er dem Ortsdiener, er wolle keine Fuhren mehr ausführen, und er bedauere es, überhaupt Material transportiert zu haben.  Das ärgerte Stingel, denn Philipp Will II hatte eine der besten Hofweiden im Dorf und einen guten Ackerbau, der von seinem 28jährigen Sohn betrieben wurde.  Vater und Sohn waren bei der Bahn beschäftigt.  Es ging ihnen gut, und deshalb war der Bürgermeister erbost, daß die beiden sich von der Gemeinschaftsarbeit ausschlossen.  Er fragte deshalb den königlichen Landrat, wie er Will bestrafen solle, oder ob er den Wagen voll Steine auf Wills Kosten verakkordieren sollte.  Bald kam die Antwort, Will II sei zur Fuhrleistung verpflichtet.  Der Bürgermeister solle ihm eine Verakkordierung auf dessen Kosten androhen.  Im Falle des Ungehorsams seien die Kosten gerichtlich einzutreiben. - Wir wissen nicht, wie dieser Streit beigelegt wurde.  Dann lief alles doch recht zügig ab, und am Sonntag, den 16. November 1873 fand die feierliche kirchliche Einweihung des neuen Schulsaales statt. (1,2)

 

Einführung des Turnunterrichts

Die schwerwiegenden Überlegungen im Zusammenhang mit der Verbesserung der räumlichen Schulsituation überdeckten einen wesentlichen Fortschritt in der Entwicklung der schulischen Versorgung der Kinder.  Am 5. Juni 1871 meldete der Lokalschulinspektor, Pfarrer Franz, dem königlichen Landratsamt in Marburg: »Der Lehrer in Sichertshausen hat sich bereit erklärt, Turnunterricht in seiner Schule anzufangen.  Er hat seither schon zweimal wöchentlich auf einem der Gemeinde gehörenden Platze Freiübungen vorgenommen.  Für die notwendigen Geräte will die Gemeinde sorgen.  Solange es im Freien geht, wird der Unterricht regelmäßig erteilt werden«.  Und einen Monat später meldete Stingel, daß die Gemeinde den »Leitfaden für den Turnunterricht« in der Oskar Erhardschen Buchhandlung bestellt habe und nächstens bekommen werde.

 

Der Turnunterricht wurde bis zu den Herbstferien ununterbrochen mit wöchentlich zwei Stunden Freiübungen durchgeführt.  Lehrer Hamel erhielt für diesen Zusatzunterricht monatlich 2 Taler.  Im übrigen hatte er wöchentlich 24 Stunden zu erteilen.  An den Freiübungen hatten anfangs 15 Turnschüler teilgenommen, das Interesse war aber sehr groß, und Hamel rechnete mit einem raschen Wachsen dieser Zahl.  Der Turnplatz wurde von der Gemeinde hergerichtet, Turngerüste (leider erfahren wir nichts über ihre Beschaffenheit) gebaut und auf den Platz gestellt. (6)

 

Wahlen

Am 15. Oktober 1863 wurde Johannes Stingel auf weitere acht Jahre zum Bürgermeister gewählt.  Gegen diese Wahl erhoben einige Bürger am 19.  Oktober Einspruch mit folgender Begründung: Der Ortsbürger Philipp Will I war nicht geladen worden, obwohl er stimm- und wahlberechtigt war.  Die Wahl war zu kurz anberaumt, so daß diejenigen, die die ganze Woche auswärts arbeiteten, nicht erscheinen konnten. Auch der Flurschütz Ruth, der nur ein Gemeindediener sei, war zur Abstimmung zugelassen worden.  Der zweite Bürgermeister wohnte der Wahl bei, was nicht passend, wenn nicht gar ungesetzlich war.  Die Beschwerdeführer baten, die Wahl zu wiederholen.  Ob ihrem Wunsche entsprochen wurde, konnten wir den Akten leider nicht entnehmen. (14)

 

Entlassung aus dem Untertanenverband

Der Ackermann Johannes Ludwig Bingel, in Sichertshausen am 14. Mai 1826 geboren, war der Sohn des verstorbenen Gastwirts und Ökonoms Ludwig Bingel.  Er war für den Militärdienst unbrauchbar erklärt worden.  Seit dem 13.  September 1852 betrieb er seine Entlassung aus dem Untertanenverband, um sich in Alten-Buseck im Großherzogtum Hessen niederlassen zu können.  Von dort erhielt er am 5. September 1855 die Nachricht, daß ihm das Ortsbürgerrecht im Großherzogtum zugesprochen sei.  Daraufhin legte Bingel am 21. September 1855 eine Vermögensliste auf dem Gemeindeamt in Sichertshausen vor.  Er besaß ein von den Eltern ererbtes Vermögen von 8000 Taler.  Es war angelegt in Obligationen, Handscheinen und Staatspapieren.  Ferner bestand es in Herausgift (also im Erbteil) des Bingelschen Gutes und in Inventar und Geschäft der drei Brüder in Kompanie.  Er wurde wahrscheinlich bald aus dem Untertanenverband entlassen. (1 6)

 

Auswanderung nach Amerika

Der Bäckergeselle Johann Adam Lemmer aus Sichertshausen, geboren 8. März 1836, wollte nach Amerika auswandern.  Um die Entlassung aus dem Untertanenverband zu erhalten, schrieb der Bürgermeister Stingel für ihn am 8. Februar 1856 eine Bescheinigung an die kurfürstliche Polizeidirektion in Marburg.  Der 20jährige besitze noch kein Vermögen.

 

Die Mutter, die Witwe des Gotthard Lemmer, sei mit der Auswanderung ihres Sohnes einverstanden, ihr blieben noch fünf Kinder in Sichertshausen.  Sie wolle auch die Reisekosten bezahlen, indem sie ihm sein Erbteil von 60 Taler, das er nach ihrem Tode bekommen würde, bereits jetzt aushändigen wolle.  Der Bürgermeister bestätigte dem jungen Manne, daß er sich zu jeder Zeit sittlich gut betragen habe.  Er könne der Auswanderung zustimmen. (16)

 

Arbeitsplätze

Aus einem Bericht Stingels vom 30.  Januar 1864 erfahren wir, daß Balthasar Gilber-t und Johannes Kraft die Herrschaft noch führten, also daß sie als Kutscher in Friedelhausen angestellt waren.  Der Beisitzer Martin Dietz arbeitete als Taglöhner das ganze Jahr hindurch beim Baron von Rabenau in Friedelhausen.  Er kam nur nachts zum Schlafen nach Hause. Der Bahnwärter Johannes Lemmer war ständig auf dem Bahnhof in Fronhausen.  Er war Beisitzer, seine Frau wohnte mit den Kindern zur Miete.  Stingel war nicht gut auf Lemmer zu sprechen, denn Lemmer sei ein Streithammel, der sich leicht von anderen verleiten lasse, Unstimmigkeiten vom Zaune zu brechen.  (14)

 

Gemeindehaushalt

Notizen über die Jahre 1879 bis 1881: Martin Schäfer hatte für das von ihm gepachtete Land »Der große Strauch« jährlich 15 Mark Pachtgeld an die Gemeinde zu zahlen Das Gemeindehaus war vom 15.  Oktober 1879 bis zum 1. Februar 1880 nicht vermietet gewesen, die Person Dörr (männlich oder weiblich ist nicht gesagt) war gestorben. 1 Klafter betrug 3,6 Raummeter, und 1 Klafter Buchenscheitholz kostete 35 Mark. Da die Gemeinde nicht im Besitz von Wald war, mußte sie das an den Bürgermeister und den Lehrer zu gewährende Besoldungsholz von je 1 Klafter bei einer Versteigerung kaufen.

 

Am 30. März 1881 meldete Stingel ans Landratsamt: »Im Jahre 1875 sind 45 Mark für eine Abfindung von Raff- und Leseholzberechtigung von fünf Beisitzern in die Gemeindekasse eingezahlt worden, und jeder hat seine Zinsen jährlich erhalten.  Nur noch zwei dieser Beisitzer sind am Leben«. Nach landratsamtlicher Verfügung sollten diese 45 Mark als Kapital angelegt werden.  Nun hatte aber die Gemeinde Grundstücke angekauft, über die ein Gemeindeweg gehen sollte. Sie kosteten über 500 Mark.  Stingel fragte, ob er die 45 Mark für diese Finanzierung einsetzen dürfe, denn die beiden Leute würden die Zinsen aus der Gemeindekasse bekommen, solange sie leben.  Die Antwort auf diese Frage haben wir leider nicht gefunden. (42)

 

Notizen aus der Kirchenchronik von Treis:

1879/80: Der Winter war sehr kalt, in Sichertshausen erfror ein Drittel der vorhandenen Obstbäume.

Nov. 1880: In Sichertshausen wurden 297 Einwohner gezählt, darunter war eine Baptistin.

 

Der Interessentenwald

entstand aus dem Halbe-Gebrauchswald, den der Staat, die Nutzungsberechtigten und die Gemeinde Sichertshausen besessen hatten und der seit 1866 von der Oberförsterei Ebsdorf verwaltet wurde.  Zur Gründung der Interessentenwaldungen kam es hier im mittelhessischen Raume nach der Besetzung durch Preußen.  Seit 1866 erfolgte die Bewirtschaftung der Wälder durch preußische Beamte, die mit den alten kurfürstlichen Regelungen absolut nicht einverstanden waren und eine genaue Abgrenzung zwischen den privaten und den staatlichen Forsten anstrebten.  Denn diese Forstbeamten, die vornehmlich aus dem preußischen Raum kamen, empfanden es als sehr hinderlich, daß hier jedermann in den Wald gehen konnte und gewisse Rechte hatte, zum Beispiel sein Vieh hineinzutreiben und Holz und Streu - sprich Laub - in beliebiger Menge zu entnehmen.  Das störte die Waldbewirtschaftung sehr und erlaubte vor allen Dingen keine genaue Überwachung der Waldbestände.  Deshalb strebten diese preußischen Beamten danach, eine genaue Trennung zwischen den privaten Wäldern und dem Staatsforst herbeizuführen.  So entstanden die Interessentenwaldungen. (41)

Um die Teilung des Waldes in Sichertshausen vorzunehmen, fand am 13. Mai 1870 eine entsprechende Versammlung und Verhandlung statt.  Alle 33 Nutzungsberechtigten erschienen und bestätigten auf dieser Zusammenkunft ihre Vertreter.

 

1. Johannes Pfeffer für sich und Ehefrau Margarethe geb.  Bender

2. Heinrich Lauer für sich und Ehefrau Elisabeth geb.  Lepper

3. Heinrich Schwarz für sich und Ehefrau Marie Elisabeth geb. Schwalb

4. Heinrich Becker für sich und Ehefrau Catharina geb. Keil

5. Heinrich Bodenbender für sich und Ehefrau Anna Margarethe geb.  Schneider

6. Jacob Kraft für sich und Ehefrau Sophie geb.  Moos

7. Johannes Kraft

8. Heinrich Will 1 für sich und Ehefrau Anna Marie geb. Bau

9. Conrad Braun für sich und Ehefrau Catharina geb. Schwarz

10. Rechtsanwalt Carl Bingel

11. Johannes Gilbert für sich und Ehefrau Anna Elisabeth geb. Bremer

12. Heinrich Ruth

13. Ludwig Bodenbender für sich und Ehefrau Anna Margarethe geb.  Wagner

14. Conrad Braun als Bevollmächtigter des Johannes Lemmer und dessen Kinder

15. Johannes Schwarz Witwe Catharina geb. Wack für sich und als Vormünderin ihrer Kinder

16. Heinrich Findt II für sich und seine minderjährigen Kinder

17. Johannes Ruppert für sich und Ehefrau Elisabeth geb. Kraft

18.Caspar Schwarz für sich und Ehefrau Elisabeth geb. Berner

19. Conrad Gilbert II für sich und Ehefrau Anna Catharina geb. Zich

20. Conrad Lemmer III für sich und Ehefrau Marie geb. Heep

21. Caspar Gilbert für sich und Ehefrau Margarethe geb. Häuser

22. Heinrich Jungermann für sich und Ehefrau Anna Margarethe geb. Frei

23. Philipp Will II

24. Conrad Gilbert I für sich und Ehefrau Barbara geb. Greiff

25. Heinrich Bingel

26. Johannes Bingel

27. Heinrich Findt III für sich und Ehefrau Elisabeth geb. Lepper

28. Balthasar Gilbert II für sich und Ehefrau Margarethe geb. Heep

29. Conrad Lemmer Witwe Margarethe geb. Simon für sich und als Vormünderin ihrer Kinder

30. Gotthard Zecher für sich und Ehefrau Elisabeth geb. Bodenbender

31. Ludwig Geißler für sich und Ehefrau Catharina geb. Karthäuser

32.Die Schule, vertreten durch den Lehrer Hamel

33. Christoph Paulus für sich und Ehefrau Catharina geb. Klinckel

34a. Anna Elisabeth Becker, vertreten durch ihren Vormund Conrad Lemmer II

34b. Johannes Bierau für seine Ehefrau Christine geb. Stingel

 

Zum Vertreter der politischen Gemeinde wurde der Regierungsassessor Koch aus Marburg bestellt, als Bevollmächtigte der Nutzungsberechtigten fungierten:

1. der Rechtsanwalt Carl Bingel aus Fronhausen

2. der Bürgermeister Johannes Stingel aus Sichertshausen

3. der Nutzungsberechtigte Gotthard Zecher aus Sichertshausen

Für die Gemeinde und die Nutzungsberechtigten lautete das Nutzungsrecht auf 50.247 Taler und für den Staat auf 32.388 Taler.  Die Teilungslinie sollte durch Steine markiert und durch eine Schneise von 1 Rute Breite festgelegt werden. Das Teilnahmerecht der politischen Gemeinde Sichertshausen wurde auf eine jährliche Rente von 39 Taler festgestellt.  Diese Summe mußten die Nutzungsberechtigten entsprechend ihren Anteilen an die Gemeindekasse einzahlen.  In der Praxis sah es aber so aus, daß das Deputatholz, also das sogenannte Besoldungsholz für den Nachtwächter, den Mast-Schweinehirten, den Bürgermeister und den Lehrer aus dem Interessentenwald geliefert wurde.

 

Bisher betrug die Fläche des Halbe-Gebrauchswaldes 714 Acker und 101 Ruten.  In diesem Walde standen den Nutzungsberechtigten und der politischen Gemeinde Holz-, Hute-, Mast- und Streuberechtigungen zu. Sämtliche Bewohner durften ihre Rinder, Schweine, Schafe und Gänse in unbegrenzter Zahl und zu jeder Jahreszeit in den Wald treiben.  Der Eintrieb hatte allerdings in Mastjahren während der Vormast (vom ersten Fallen der Eckern und Eicheln bis Ende Dezember) zu unterbleiben.  Die Vormast wurde im Interesse der Nutznießer und des Staates öffentlich verpachtet.  Die Gänse wurden seit uralten Zeiten nur in den offenen Huteort »Rothenberg« getrieben.

Sämtliche Bewohner konnten ihren Bedarf an Waldstreumaterial wie Laub, Heide und Moos frei beziehen, soweit die Abgabe desselben forstlich zulässig war.  Und Leseholz durften sämtliche Bewohner an jedem Montag und Donnerstag sammeln.  Die Nutzungsberechtigten hatten die Kulturarbeiten auszuführen.  Für das an die Mitbesitzer und die Gemeinde abzugebende Bau- und Brennholz kassierte der Staat eine feststehende Geldentschädigung.  Für den Schutzbeamten erhielt der Staat eine bestimmte Menge Brennholz (1 Klafter Holz wurde mit 8 Taler veranschlagt).  Dem Staat stand allein die Jagdnutzung zu.  Dafür hatte er für die Verwaltung und den Waldschutz zu sorgen.

Nun sollte die bisher bestehende Gemeinschaft aufgelöst, der Wald geteilt und die Nutzungsrechte und Verpflichtungen neu geregelt werden. Der Gemeinschaftswald hatte eine Fläche von 714 Acker. Hinzu kam der Handwerkswald mit 42 Acker, der dem Staate allein gehörte, aber abgetreten werden sollte, um eine bessere Plantage zu ermöglichen. Die Teilungsmasse bestand also aus 756 Acker. Der Wert des Gemeinschaftswaldes betrug 82.636 Taler. Der Wert des Handwerkswaldes betrug 4108 Taler. Der Wert der Teilungsmasse betrug also 86.744 Taler. Der Wert der Teilnahmerechte an der gemeinschaftlichen Waldung wurde ermittelt auf:

für die Nutzungsberechtigten und die politische Gemeinde Sichertshausen

                                                                  49 425 Taler

für den Staat                                               33.211 Taler

dazu Wert des Handwerkswaldes               004108 Taler

                                         Summe              86 744 Taler

 

Nach der ausgeführten Teilung besaßen die 37 Nutzungsberechtigten Wald in den Forstorten Spieß, Stangenholz, Rothenberg, Kohlzipfen, Platte, Rothlauf, Ungeheuerbach, Handwerkswald und Judenkirchhof.

 

Die Fläche des neu gebildeten Interessentenwaldes betrug nach einer Mitteilung der königlichen Regierung in Kassel an den königlichen Landrat in Marburg vom 10. Oktober 1881 im ganzen 104,5927 ha (100 Kasseler Acker = 23,8653 ha).  Der Interessentenwald wurde dem Verwaltungsbezirk des Oberförsters Schulz in Roßberg unterstellt. Der Staatswald lag in den Forstorten Hainbach, Spieß, Stangenholz und Judenkirchhof. Der Staatswald war fortan frei von allen Lasten, während der Interessentenwald die Leseholzberechtigung der Gemeindeglieder zu befriedigen hatte.

Jetzt haben wir es hier noch mit dem Begriff »Heubauer« zu tun, wie die Hausbesitzer genannt wurden, die Nicht-Interessenten waren und Leseholz sammeln durften.  Stingel nannte sie Beisitzer.  Eigentliche Beisitzer, die auf Miete wohnten, gab es nur noch wenige, nämlich einen Schäfer und einen Hirten sowie einzelne unverehelichte Frauensleute.

 

Bisher erhielten jährlich aus der Halbe-Gebrauchswaldung

der Bürgermeister - 1 Klafter Brennholz und 114 Schock Reisholz

der Schullehrer - 1 Klafter Brennholz

der Nachtwächter - 1 Klafter Brennholz

der Schweinehirt zu Mastzeiten - 1/2 Klafter Eichenbrennholz

 

Nun übernahm die politische Gemeinde Sichertshausen die Lieferung dieser Holzabgaben.  Als Entschädigung dafür und für die ihr bisher in der Halbe Gebrauchswaldung zustehenden Berechtigungen erhielt sie eine jährliche feste Geldrente von 39 Taler, die die Nutzungsberechtigten zum ersten Male am 11. November 1871 in die Gemeindekasse zu zahlen hatten.

 

Am 27. Juni 1870 trat der Teilungsvertrag in Kraft.  Die Nutzungsberechtigten übernahmen von diesem Tage an die Verwaltung und den Schutz ihres Waldes, in dem ihnen jetzt auch die Jagd zustand.  Sie bildeten eine Körperschaft und bewirtschafteten den Wald gemeinsam.  Zunächst lehnten sie es ab, einen neuen Waldvorstand zu wählen, der Bürgermeister Stingel sollte wie bisher die Verwaltung behalten.  Dann mußten sie sich aber doch der amtlichen Verfügung beugen und einen eigenen Waldvorstand wählen.

 

Statut

für die Verwaltung und Bewirtschaftung

des Interessentenwaldes

zu Sichertshausen

 

In Gemäßheit der § 4 und § 5 des Gesetzes über die gemeinschaftlichen Holzungen vom 14. März 1881 wird folgendes Statut beschlossen:

 

§ 1

Aus der Zahl der Miteigentümer des Interessentenwaldes von Sichertshausen wird ein Waldvorstand, aus drei Personen bestehend, gebildet, von denen einer der Vorsitzende ist.

 

§2

Der Waldvorstand hat die sämtlichen Miteigentümer des Interessentenwaldes in allen den Wald betreffenden Angelegenheiten der Forst- und Aufsichtsbehörde gegenüber und in vermögensrechtlicher Beziehung auch vor Gericht und außergerichtlich zu vertreten.

Insbesondere hat derselbe gemäß der ihm von der Mehrheit der Interessenten zu erteilenden Instruktion

1. auf Anordnung der dazu berufenen Staatsbehörden die Hauungen und Kulturen im Walde vornehmen zu lassen,

2. den nötigen Waldschützen nach Anhörung der Interessentenmehrheit und mit Vorbehalt der Genehmigung der Forstbehörde zu bestellen, den nötigen Vertrag mit demselben abzuschließen und dessen Gehalt festzusetzen, wobei bestimmt wird, daß er bei gleicher Qualifikation einem Waldeigentümer den Vorzug vor anderen Bewerbern zu geben hat,

3. einen Rechnungsführer für die Waldkasse zu bestellen und dessen Vergütung und den Betrag der von ihm zu leistenden Kaution zu bestimmen, 4. die Teilung der Waldnutzungen nach dem bestehenden Herkommen und den Verkauf der nicht zur Verteilung bestimmten Waldnutzungen zu besorgen, die Beträge dafür als Einnahme in die Interessentenkasse einzahlen zu lassen und die Überschüsse der Waldkasse nach Maßgabe der Anteile jedes einzelnen am Wald unter die Waldeigentümer zu verteilen.

 

§ 3

Der Vorsitzende des Waldvorstandes hat die Geschäftsleitung und namens des Vorstandes die Korrespondenz mit den Behörden zu führen. Der Vorsitzende oder bzw. der Stellvertreter hat auch die Einnahmen und Ausgaben der Waldkasse anzuweisen.

 

§ 4

Der Rechnungsführer hat dem Vorstand jährlich Rechnung abzulegen, welche dieser zu prüfen hat.  Hierbei wird bestimmt, daß jeder Waideigentümer zum Zweck einer ordnungsmäßigen Kassenführung verpflichtet ist, die zur Waldkasse schuldigen Gelder zu zahlen und nicht berechtigt ist, auf Forderungen an dieselben aufzurechnen.

 

§ 5

Der Vorstand hat alljährlich, nachdem der Rechnungsführer die Rechnung gelegt hat, diese zu prüfen und dann acht Tage lang zur Einsicht der Beteiligten offen zu legen und nach dieser Offenlegung der Rechnung eine ordentliche Versammlung der Waldinteressenten zu berufen, in welcher dem Vorstand Decharge erteilt und über gemeinsame Angelegenheiten Beschluß gefaßt wird.  Zu diesem Termin müssen die Interessenten zwei Tage vorher eingeladen werden.

 

§ 6

Der Waldvorstand wird von den Miteigentümern des Interessentenwaldes durch die Versammlung der Interessenten aus der Zahl derselben auf die Dauer von drei Jahren gewählt.  Die Wahl findet mittelst Stimmzettel statt.  Bei der Wahl wird bestimmt, wer Vorsitzender und wer Stellvertreter sein soll. Der Vorsitzende des Waldvorstandes ladet die Stimmberechtigten eine Woche vor der Wahl ein.  Die Versammlung ist zur Vornahme der Wahl berechtigt, wenn zwei Drittel der Wahlberechtigten anwesend sind.  Ist diese Anzahl nicht erschienen, so hat der Vorsitzende eine neue Versammlung in ortsüblicher Weise zusammen zu berufen und ist bei der Einladung ausdrücklich hervorzuheben, daß ohne Rücksicht auf die Zahl der erschienenen Waldinteressenten die Wahl vorgenommen werde.  Diese zweite Versammlung ist ohne Rücksicht auf die Zahl der Anwesenden zur Vornahme der Wahl berechtigt.

Gewählt gilt in allen Fällen der, welcher die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten hat.  Erhält im ersten Wahlgange niemand diese Mehrheit, so findet das im § 53 der Landgemeindeordnung vom 4.8.1897 Gemeindevertretungswahlen bestimmte Verfahren entsprechende Anwendung.  Scheidet ein Mitglied während seiner Amtsdauer aus, z. B. durch Tod, so wird für den Rest seiner Wahlperiode eine Neuwahl nach den bestehenden Bestimmungen vorgenommen.

 

§ 7

Die erste Wahl des Vorstandes nach Bestätigung dieses Statuts leitet der Bürgermeister, die folgenden Wahlen muß der in Funktion stehende Vorstand mindestens sechs Wochen vor Ablauf seiner Wahlperiode zur Ausführung bringen.  Sollte dieses nicht möglich sein oder verhindert werden, so hat wiederum wie im ersten Fall der Bürgermeister die Wahl in ordnungsmäßiger Weise herbeizuführen.

 

§ 8

Die Legitimation des nach diesem Statut gewählten Waldvorstandes wird durch eine unter dem Gemeindesiegel ausgestellten Bescheinigung des Ortsvorstandes oder seines Beigeordneten erbracht, daß die betreffenden Personen dem Statut gemäß für die betreffenden Jahre zum Waldvorstand von den Waldeigentümern zu Sichertshausen gewählt seien.

 

§ 9

Der Waldvorstand erhält aus der Interessentenkasse für seine gesamten Bemühungen einschließlich auswärtiger Geschäfte jährlich 25 Mark.

Sichertshausen am 25.  November 1907

 

Georg Will, Kaspar Schwarz, Gottfried Will, Ludwig Bingel, Adam Findt, Ludwig Bodenbender, Heinrich Findt VII, Heinrich Findt VI, Peter Ruppert, Johs.  Bodenbender Witwe, Bernhard Schwarz, Heinrich Geißler, Andreas Hemer, Konrad Gilbert 111, Ludwig Geißler, Konrad Lemmer, Christina Gilbert Witwe Daniel Gilbert, Adam Lemmer, Konrad Gilbert, Heinrich Lauer, Christian Wolfel, Kaspar Hoß, Johannes Becker, Heinrich Lapp, Jacob Zecher, Karl Koch.

Vorstehend unterschriebene Personen sind Waldteilhaber. Georg Will, Ludwig Bingel, Heinrich Geißler, Heinrich Lauer, Peter Ruppert und Konrad Lemmer besitzen jeder zwei Anteile, alle übrigen jeder ein Anteil.  Dieses sowie die eigenhändigen Unterschriften derselben bescheinigt.

Sichertshausen am 25.  November 1907

Der Bürgermeister

Geißler

 

Verzeichnis

der Wald-Interessenten von Sichertshausen

1 .Georg Will hat 2 Anteile

2. Ludwig Bingel hat 2 Anteile

3. Heinrich Geißler hat 2 Anteile

4. Heinrich Lauer hat 2 Anteile

5. Peter Ruppert hat 2 Anteile

6. Konrad Lemmer hat 2 Anteile

7. Kaspar Schwarz hat 1 Anteil

8. Gottfried Will hat 1 Anteil

9. Adam Findt hat 1 Anteil

10. Ludwig Bodenbender hat 1 Anteil

11. Heinrich Findt VII hat 1 Anteil

12. Johs.  Bodenbender Witwe hat 1 Anteil

13. Bernhard Schwarz hat 1 Anteil

14. Andreas Hemer hat 1 Anteil

15. Konrad Gilbert III hat 1 Anteil

16. Ludwig Geißler hat 1 Anteil

17. Christian Wolfel hat 1 Anteil

18. Kaspar Hoß hat 1 Anteil

19. Christina Gilbert Witwe hat 1 Anteil

20. Daniel Gilbert hat 1 Anteil

21. Adam Lemmer hat 1 Anteil

22. Konrad Gilbert 1 hat 1 Anteil

23. Johannes Becker hat 1 Anteil

24. Heinrich Lapp hat 1 Anteil

25. Heinrich Findt VI hat 1 Anteil

26. Jacob Zecher hat 1 Anteil

27. Karl Koch hat 1 Anteil

28. Johs.  Lemmer Erben haben 1 Anteil

29. Johs.  Gilbert Witwe hat 1 Anteil

30. Heinrich Spaar in Ruttershausen hat. 1 Anteil

31. die Schule hat 1 Anteil

 

im ganzen 37 Anteile (19)

 

Seit Oktober 1872 bis zum August 1874 zogen sich die Verhandlungen über die Servitutablösung in Sichertshausen hin.  Versammlungen fanden im Bingelschen Wirtshaus zu Sichertshausen statt.  Vor Gericht wurde geklagt, und Versammlungslokal war das Ruth'sche Wirtshaus zu Fronhausen.  Schließlich kam es zu folgender Vereinbarung:

 

Rezeß

in der Ablösungssache von

Sichertshausen

Einleitung

 

In der im landrätlichen Kreise Marburg im Regierungsbezirke Kassel gelegenen Gemeinde Sichertshausen wurde in Folge eines unterm 27. Januar 1871 seitens der königlichen Regierung zu Kassel, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten gestellten Antrages auf Ablösung der den nicht nutzungsberechtigten Einwohnern zu Sichertshausen im bisherigen dortigen Mitgebrauchswald und dem Staatswalddistrikt »Handwerkswald« zustehenden Weide-, Raff- und Leseholzberechtigungen und der sämtlichen Einwohnern und Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen zustehenden Leseholzgerechtsame im Staatswalddistrikt »Heckersberg", nachdem die Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen sich dem Antrag angeschlossen hatten, das betreffende Verfahren eingeleitet. Über die dadurch bewirkte Auseinandersetzung wird zwischen den folgenden Teilnehmern:

1. dem Staat, vertreten durch die königliche Regierung, Abteilung für direkte Steuern, Domänen und Forsten zu Kassel,

2. der Gesamtheit der im § 4 sub II namentlich aufgeführten Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen, vertreten durch ihre Deputierten

Rechtsanwalt Bingel zu Fronhausen

Bürgermeister Johannes Stingel und

Gotthard Zecher zu Sichertshausen,

3. der Gesamtheit der im § 4 sub III namentlich aufgeführten nicht nutzungsberechtigten Grundbesitzer zu Sichertshausen, vertreten durch ihre Deputierten:

Conrad Lemmer II

Martin Dietz und

Heinrich Matthäi

von Sichertshausen und

4. der politischen Gemeinde Sichertshausen, vertreten durch den Kreissekretär der nachstehende Rezeß errichtet.

 

Weitere Beteiligte haben sich der durch zweimalige Einrückung in die Hessische Morgenzeitung und den öffentlichen Anzeiger des Amtsblattes der Königlichen Regierung zu Kassel erfolgter öffentlicher Bekanntmachung der Sache ungeachtet nicht gemeldet.

 

§ 1 Verhältnisse vor der Auseinandersetzung

Die Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen sind durch am 7. Oktober 1870 von der Königlichen Regierung bestätigten, zwischen ihnen und der letzteren abgeschlossenen Rezeß vom 27.  Januar 1870 in den eigentümlichen Besitz einer Fläche von 104,8925 Hektare des früheren halben Gebrauchswaldes getreten und haben damit die Verpflichtung übernommen, die nicht nutzungsberechtigten Einwohner zu Sichertshausen für die denselben zustehende Weide-, Raff- und Leseholz-Gerechtsame in dem Teil des früheren Mitgebrauchswaldes, weicher dem Staate als eigentümlicher Besitz und servitutfrei überwiesen wurde und für die denselben zustehenden Leseholzberechtigung in dem der besseren Planlage wegen in die Abfindung der Nutzungsberechtigten gefallenen früheren Staatswalddistrikt »Handwerkswald« zu entschädigen.  Außerdem stand bisher sämtlichen Einwohnern und Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen die Leseholzberechtigung in dem 9,4268 Hektar großen Staatswalddistrikt »Heckersberg« zu.

 

§ 2 Zwecke der Auseinandersetzung

Zwecke der Auseinandersetzung sind:

1. Ablösung der den nicht nutzungsberechtigten Einwohnern zu Sichertshausen zustehenden Berechtigungen:

a) zur Weide mit Schweinen in dem ganzen früheren halben Gebrauchswald Nr. 877, 964 und 1111 des Katasters von Sichertshausen, nämlich:

Forstort Hainbach Nr. 1 der Forstkarte 62 Ar 91 Quadratruten

Forstort Spieß Nr. 2 der Forstkarte 102 Ar 11 Quadratruten

Forstort Stangenholz Nr. 4 der Forstkarte 170 Ar 29 Quadratruten

Forstort Rothenberg Nr. 5 der Forstkarte 55 Ar 53 Quadratruten

Forstort Kohlzipfen Nr. 6 der Forstkarte 28 Ar 145 Quadratruten

Forstort Platte Nr. 7 der Forstkarte 48 Ar 102 Quadratruten

Forstort Rothlauf Nr. 8 der Forstkarte 61 Ar 1 19 Quadratruten

Forstort Ungeheuerbach Nr. 9 der Forstkarte 99 Ar 64 Quadratruten

Forstort Judenkirchhof Nr. 1 1 der Forstkarte 85 Ar 69 Quadratruten

zusammen: 714 Ar 1 0 1 Quadratruten oder 170,5586 Hektar, sowie

 

b) zur Leseholznutzung in dem früheren Staatswalddistrikt »Handwerkswald«.

2. Ablösung der den sämtlichen Einwohnern und Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen zustehenden Leseholzberechtigung im Staatswalddistrikt »Heckersberg" 39 Ar 75 Quadratruten oder 9,4205 Hektar groß - durch den Staat.

 

§ 3 Ablösung - Abfindung

Die im § 2 sub 1 und 2 genannten Berechtigungen haben mit dem 1. Januar 1873 für immer aufgehört.  Als Abfindung für den Wegfall dieser Berechtigungen sind folgende Entschädigungen gezahlt worden:

1. von den Nutzungsberechtigten zu Sichertshausen

a) an die im § 4 sub 3 namentlich aufgeführten 17, nicht nutzungsberechtigten Grundbesitzer zu Sichertshausen 250 Taler zu gleichen Teilen und

b) an die Gemeindekasse für die fünf, zur Zeit der Vollziehung dieses Rezesses in Sichertshausen wohnenden Einlieger, nämlich:

1. Heinrich Schäfer

2. Elisabeth Will

3. Adam Lemmers Witwe

4. Johann Schäfer Ehefrau

5. Catharina Dörr

42 Taler 15 Silbergroschen

 

2. vom Staat an sämtliche Einwohner und Nutzungsberechtigten sowie die Gemeindekasse (wiederum für die fünf sub 1 genannten Einlieger) an Kapital und Verzugszinsen 36 Taler 23 Silbergroschen 3 Pfennig, und zwar zu 34 Teilen an die, Nutzungsberechtigten, zu 17 Anteilen an die nicht nutzungsberechtigten Grundbesitzer und zu fünf Anteilen an die Gemeindekasse.  Die an die Gemeindekasse gezahlten Beträge sind verzinslich angelegt worden und steht der Genuß der Zinsen den fünf sub 1 genannten Einliegern für ihre Lebensdauer zu, während derselbe nach dem Ableben derselben der Gemeindekasse verbleibt.

 

§ 4 Verteilung der Abfindung (§ 3) und Quittung

Die Zahlungen, welche demgemäß die verschiedenen Teilhaber geleistet und empfangen haben und über welche dieselben durch Vollziehung dieses Regresses quittieren, sowie das Teilnahmeverhältnis derselben ergeben sich aus den bei ihrem Namen aufgeführten Beträgen in nachfolgender Zusammenstellung (56)

 

Hier noch ein Bild der Flurgemarkung Sichertshausen, deren Jahreszahl allerdings nicht genau bekannt ist, ein Bild des Interessentenwaldes von 1870 und ein Bild der Holzmacher-Rotte um 1950.